Mit chinesischen Kräutern gegen Erkältung und Grippe: Ein praktischer Leitfaden für den Alltag

Fresh ginger root with green leaves on top, close-up view.

Viele Menschen greifen bei Erkältungen und Grippen zu Hausmitteln oder westlichen Medikamenten. In der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) gibt es seit Jahrhunderten spezielle Kräuter und Formeln, die gezielt auf die verschiedenen Stadien von Atemwegserkrankungen eingehen. Heute zeige ich euch, wie ich ich in meiner Praxis für TCM Zürich vorgehe und nach welchen Kriterien ich Kräuter für Erkältungen auswähle. Die Beispiele kommen aus meinem Praxisalltag – möglichst klar und verständlich erklärt.

Wichtigste Erkenntnisse:

  • Kräuterformeln in der TCM bauen auf der genauen Beobachtung von Symptomen und deren Veränderung auf.

  • Es gibt unterschiedliche Formeln für kalte und warme Krankheitsbilder.

  • Die Zunge ist ein wichtiger Indikator für die Auswahl der richtigen Kräuter.

Die richtige Diagnose macht den Unterschied

Bei jedem Atemwegsinfekt frage ich mich zuerst: Welche Symptome stehen im Vordergrund? Wie fühlen sich die Betroffenen, welche Beschwerden sind am auffälligsten?

Ein Beispiel: Ein 84-jähriger Patient, relativ fit, bekommt plötzlich starke Kältegefühle, ständige Müdigkeit, Husten mit klarem Auswurf, laufende Nase und keinen Schweiss. Sein Körper wirkt antriebslos, er friert trotz dicker Kleidung, Appetit ist kaum da. Die Zunge zeigt einen dünnen, weissen Belag und wirkt ein wenig trocken, seitlich etwas geschwollen.

Hier wird klar: Es handelt sich um eine akute Wind-Kälte-Erkrankung mit Qi-Schwäche. Das ist in der TCM eine klassische Kombination bei älteren Menschen oder nach Erschöpfung.

Wie wähle ich die passende Kräuterformel?

In der chinesischen Kräutertherapie gibt es eine Art „Algorithmus“, nach dem ich vorgehe:

  1. Wo sitzt der Erreger? (Oberflächlich – z.B. Kopf/Hals – oder bereits in der Tiefe wie Lunge oder Verdauungstrakt)

  2. Ist Kälte, Hitze oder eine Mischung das Problem?

  3. Gibt es Hinweise auf Schwäche (Qi-Mangel) oder Übermass (Stau, Fülle)?

Schon kleine Details machen einen Unterschied:

  • Kratzen im Hals + Frösteln: Xiang Su San (Perillakraut-Formel) – ideal bei beginnender Erkältung mit Kälte.

  • Halsschmerzen, Fieber, geschwollene Halslymphknoten: Yin Qiao San (Lonicera- und Forsythiakraut) – wenn Hitze/Feuer im Spiel ist.

  • Sinus-Schmerzen, rinnende Nase: Cang Er Zi San (Xanthium-Pulver) – bekannt für Beschwerden an den Nebenhöhlen.

Hier eine Tabelle der wichtigsten Formeln und Anwendungsgebiete:

Formel

Hauptsymptome

Xiang Su San

Frösteln, Gliederschmerzen, Schwäche

Yin Qiao San

Halsschmerzen, Fieber, Hitzegefühle

Gui Zhi Tang

Kälte, Schwitzen ohne Besserung

Cang Er Zi San

verstopfte/rinnende Nase, Kopfschmerz

Xiao Qing Long Tang

Husten mit viel Schleim, Kälte, Ödeme

Ein praktisches Beispiel: Xiao Qing Long Tang

Für meinen Patienten mit starkem Frieren und produktivem Husten habe ich folgende Formel gewählt: Xiao Qing Long Tang (Kleiner Blaue-Drachen-Dekokt). Diese Kräutermischung ist besonders bewährt bei Husten mit viel klarem Auswurf, Frost und Schwäche.

Enthalten sind unter anderem:

  • Ephedra (nur mit Rezept in der Schweiz!) – öffnet die Poren, vertreibt Kälte und löst Schleim, aber Vorsicht bei Herzproblemen

  • Zimt-Ast – wärmt und gleicht das Verhältnis von Abwehr und Ernährung aus

  • Ingwer, weisser Pfingstrosenwurzel, Süssholz – allesamt Kräuter, die Schleim transformieren, Qi stärken und den Körper „in Schwung bringen“

Häufig modifiziere ich die Rezepturen:

  • Bei älteren Menschen weniger Ephedra

  • Mehr Husten? Bittermandel oder Perilla-Früchtchen dazu

  • Viel Schleim? Getrocknete Mandarinen-Schale ergänzen

Was ist, wenn das Hauptkraut nicht erhältlich ist?

Ephedra darf in der Schweiz, wie in vielen Ländern, nur von Fachpersonen verschrieben werden. Viele Fertigmischungen im Handel enthalten es daher gar nicht. Eine alltagstaugliche, sichere Alternative ist Xiang Su San – diese Formel lindert zuverlässig viele Symptome der wind-kalten Erkältung und kann problemlos als Vorrat zu Hause gehalten werden.

Wann sollte man Kräuter einnehmen?

Am besten gleich zu Beginn der Symptome. Oft reichen sieben Tage Behandlung, um den Infekt abzufangen. Bei starken Verläufen oder älteren Patienten kann eine weitere Kur nötig sein oder im Anschluss eine aufbauende Mischung, um Energie und Abwehrkraft zu stärken.

Wichtige Tipps für die Hausapotheke

  • Lieber eine Formel parat haben als im Notfall suchen müssen.

  • Die genaue Auswahl hängt vom aktuellen Bild ab: Nicht jede Erkältung braucht die gleiche Mischung!

  • Bei Unsicherheiten oder schweren Symptomen: Unbedingt therapeutischen Rat einholen.

Fazit

Traditionelle chinesische Kräuter können dabei helfen, Erkältungen und Grippe sanft und zielgerichtet zu behandeln – vorausgesetzt, man wählt die passende Mischung. Mein Tipp nach über 20 Jahren Praxis: Beobachtet die Veränderungen im Verlauf genau und sucht euch die Formeln nach aktuellem Stand der Symptome aus. Und denkt daran, immer zuerst auf den eigenen Körper zu hören.

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